Faust – ist Goethes Tragödie für Schüler*innen noch aktuell?

Viele Schüler*innen stellen diese Frage, wenn „Faust – Der Tragödie Erster Teil“ von Johann Wolfgang von Goethe in der Oberstufe im Fach Deutsch gelesen werden muss. Dieses klassische Werk der Weltliteratur wurde 1808 veröffentlicht, es gehört traditionell zum literarischen Kanon für das Fach Deutsch und wurde häufig Thema in der schriftlichen Abiturprüfung. Derzeit gehört zu den Vorgaben für das Zentralabitur, dass die Schüler*innen der Qualifikationsphase I sich mit dem Thema „Grenzüberschreitungen – Goethe, Faust, Der Tragödie 1. Teil“ auseinandersetzen. Sicher ist es wichtig, Werke verschiedener Epochen einordnen und interpretieren zu können – aber hat das Drama Faust I auch aktuelle Bezüge für uns heute, oder bringt die Lektüre einen auch persönlich weiter? Damit habe ich mich im folgenden Text auseinandergesetzt.
Buchmotiv Faust I
Unsere Schullektüre von Westermann: Eine Ausgabe von Faust I. Foto: Valentina.

Liest man das Drama Faust, wird einem schnell klar, dass dies keine leichte Lektüre ist. Es tauchen immer wieder Formulierungen und Begriffe auf, die man noch nie gehört hat und insgesamt benötigt es Zeit, die etwas altertümliche Sprache zu verstehen. Und dann hat die Tragödie auch noch drei Einleitungen. Zusätzlich wird um die meisten Dinge lange herumgeredet, und es ist viel Interpretationsspielraum vorhanden. Gerade der letzte Punkt ist für das Unterrichtsgeschehen interessant. Doch um interpretieren zu können, muss man erst mal verstehen, worum es eigentlich geht.

Goethe wollte mit diesem Werk zum Teil auch die damalige Gesellschaft kritisieren, und unter diesem Aspekt fragt man sich dann vielleicht doch, ob diese Kritik auch in unserer Gesellschaft noch angebracht ist.

Insgesamt werden in „Faust I“ verschiedene Charaktere porträtiert, die alle in spezifischen Beziehungen zueinander stehen. Die wichtigsten Charaktere für die Handlung sind: Dr. Faust, Mephisto, Gott (der Herr), Gretchen und Marthe. Der Protagonist Dr. Heinrich Faust ist mit der interessantesten Persönlichkeit ausgestattet. Und wenn man ihn genauer betrachtet, sieht man auf einmal viele Fausts um sich herum.

Aber auch Mephisto – der den Teufel verkörpert – ein „Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“ – ist eine spannende Figur, die viele Interpretationsmöglichkeiten bietet.

Faust und Mephisto – Skulptur in Rom. Foto: Pixabay.

Doch wie darf ich mir Faust nun vorstellen?

„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, Die eine will sich von der andern trennen“ – (Seite 39 Vers 1112 f. / Faust in Faust der Tragödie erster Teil von Johann Wolfgang von Goethe, EinFach Deutsch, Schöningh Verlag, Westermann).

Nun, das obige Zitat stellt im Grunde Fausts Persönlichkeit am besten dar.

Erste Seele – einerseits strebt Faust nach umfassender wissenschaftlicher Erkenntnis.

Dr. Faust hat in vielen Fächern einen Doktor erhalten. Neben Medizin, Philosophie und Juristerei auch in Theologie (Religionswissenschaften).

Da fragt man sich doch, warum all diese Fächer?

Dr. Faust ist ein Mensch, der strebt, immer weiter, um Antworten auf die wirklich wichtigen Fragen zu finden. Und er dachte, in der Religion seine Antworten zu finden, dann in der Alchemie, was nicht funktionierte.

Der Aktualitätsbezug besteht hier im Streben nach Erkenntnis all dessen, was in der Welt geschieht. Dieses Streben nach immer neuen Zielen und sich nicht zufrieden geben, ist auch heute noch ein viel zu beobachtendes Phänomen.

Zudem ist Faust als Forscher und Wissenschaftler sehr bemüht, die Welt und das Leben bis ins Detail zu verstehen – das passt in unsere Zeit, die nach der Aufklärung sehr der Wissenschaft zugetan ist. Alles wollen wir verstehen, durchschauen und möglichst wissenschaftlich kontrollieren – nur müssen wir feststellen, dass unserer wissenschaftlichen Erkenntnis Grenzen gesetzt sind – was vor allem zurzeit immer wieder deutlich wird.

Zweite Seele – andererseits strebt Faust nach Glücksempfinden

Nachdem Faust in der Wissenschaft kein Glück und keine Zufriedenheit finden konnte, war er empfänglich für Mephistos Vorschlag, im Erleben der Welt, also im Konsumieren und im Genuss, diese zu finden.

Auch das hat Aktualitätsbezug. Denn viele Menschen suchen im Konsum ihr Glück, oder suchen immer mehr Genussmomente, was eher temporär als lang anhaltend ist.

Insgesamt ist das Dilemma zwischen den zwei Seelen auch sehr aktuell, da jeder bestimmt einen Moment kennt, in dem man sich zwischen zwei Dingen entscheiden muss und unentschlossen ist, für was man sich entscheiden soll.

Das Kernmotiv der Faustsage ist der berüchtigte Pakt mit dem Teufel. Die Teufelsfigur, die diesen Pakt mit Faust eingeht, trägt den Namen Mephistopheles. Nachdem Faust den Pakt unterschrieben hat, verspricht Mephisto, ihm zu dienen und alle seine Wünsche zu erfüllen. Im Gegenzug verspricht Faust Mephisto seine Seele, wenn dieser es schafft, ihm uneingeschränktes Lebensglück zu bescheren. Während der Schließung des Paktes wird schon klar, dass Mephisto Faust wohl nicht glücklich machen kann, da dieser nie aufhören wird zu streben. Diese Voraussicht bewahrheitet sich auch in unserer heutigen Zeit. Denn nur durch die Jagd nach Erlebnissen und Zerstreuungen, wie sie Faust von Mephisto geboten werden, kann man nicht unbedingt sein Glück finden.

Nachdem nun klar ist, inwieweit hier aktuelle Bezüge bestehen, fragt man sich vielleicht, ob es neben der Kritik an der Gesellschaft auch einen persönlichen Nutzen gibt. Das Werk kann einen beispielsweise dazu anregen, eigene Fehler zu reflektieren. Zusätzlich wird deutlich, dass Hybris (Hochmut), wie bei Faust, nicht gut ist. Außerdem kann man aus dem Drama entnehmen, dass kein Mensch mehr wert ist, als ein anderer, was Faust anfangs versucht außer Kraft zu setzen, da er sich für gottgleich hält.

Johann Wolfgang von Goethe. Foto: Pixabay

Zusammenfassend kann man festhalten, dass Goethe mit Dr. Heinrich Faust einen Menschentypus porträtiert, der zeitlos ist, aktuell bleibt, besonders heute, und ist nicht unnötig, dieses umfangreiche Werk zu lesen.

„Goethe begann seinen ,Faust‘ im 24. Lebensjahr und beendete ihn im 82. Das Werk hat aus der Fülle dieses reichen Lebens und der umfassenden Bildung seiner Zeit die mannigfaltigsten Elemente in sich aufgenommen.“ 

Aus: Erich Trunz: Goethe-Faust, München 1998, Klappentext. Der,,Faust“ gilt als Ausnahmewerk des Ausnahmedichters Goethe.

Artikel: Valentina Großklaus.