Am 31.01.2022 ist unsere langjährige Schulleiterin Frau Kuhn in den Ruhestand gegangen – wir aus dem Seminarfach Homepage hatten kurz vorher noch Gelegenheit, Frau Kuhn ein paar Fragen für ein Interview zu übermitteln. Wir eröffneten das Gespräch mit einer Frage zu dem großen Ölgemälde, welches in Frau Kuhns Büro an der Wand gegenüber dem Gesprächstisch hing – neben einer chinesischen Kalligraphie, die unsere Neugier geweckt hatte. Mittlerweile ist daraus ein ausführliches Interview entstanden, in dem wir einiges über Vergangenes, Gegenwart und Zukunft von Frau Kuhn erfahren.
Frau Kuhn, Sie sind ja nun seit dem 31.01. im Ruhestand, am Tag Ihrer Verabschiedung haben wir Sie noch in Ihrem Büro besucht, um für die Homepage ein paar Fotoimpressionen festzuhalten. Im Fokus standen dabei die großen Bilder in Ihrem Büro – die ja in den vielen Jahren Ihrer Amtszeit als unsere Schulleiterin dort hingen und wohl jedem bekannt sind, der Sie in Ihrem Büro besucht hat. Insbesondere die große Leinwand, die auch auf der Homepage als Hintergrund Ihres Porträts zu sehen ist, sowie die große chinesische Kalligraphie. Gibt es eine Geschichte zu diesen Bildern?
Das Gemälde und die Kalligraphie haben mich tatsächlich während meiner Zeit als Schulleiterin begleitet, das Gemälde von Anfang an, die Kalligraphie kam später hinzu.
Bei dem Gemälde handelt es sich um eine Leihgabe. Der Künstler, Rainer Heckel, der in Bergedorf lebt und arbeitet, überließ mir das Bild, damit ich es in meinem Büro aufhängen konnte, was mir aus unterschiedlichen Gründen wichtig war.
Kunst, bildende Kunst, aber auch Literatur, Musik, darstellende Kunst, halte ich für einen wichtigen Bestandteil unseres Lebens und bin der Überzeugung, dass der Kunst in jeder Gesellschaft eine zentrale Rolle zukommen sollte. Idealerweise unterliegt sie weder ökonomischen noch politischen Zwängen. Kunst setzt sich – implizit oder explizit mit der Wirklichkeit auseinander, sie reflektiert persönliches Erleben und gesellschaftliche Wirklichkeit. Damit enthält sie eine Botschaft für den Betrachtenden.
Bezogen auf die Schule halte ich es für wichtig, dass die künstlerischen Fächer im Fächerkanon einen festen Platz haben. Die Vermittlung von Fachwissen und spezifischen Techniken vorausgesetzt, bieten sie Kindern und Jugendlichen Raum, Gedanken und Gefühle in anderer Weise auszudrücken als dies im Forschen, Schreiben oder Sprechen geschieht.
Als Symbol dieser Überzeugung gehörte in mein Büro neben einem PC und einem Tisch, an dem sich bis zu acht Personen zum Gespräch treffen können, ein Gemälde.
Schließlich liegt ein Grund in dem Bild selbst: Ich halte das Ölgemälde für sehr gelungen, was Farbigkeit, Materialität und Pinselführung anbelangt. Abgebildet ist eine offene Kiste, die u. a. Fragen nach dem Inhalt impliziert. Was enthält die Kiste? Ist etwas in ihr versteckt? Was werde ich daraus hervorholen können?
Darin liegt für mich eine Verbindung zwischen dem Gemälde und der Schule:
Im Hinblick auf Schule geht es um die Frage, welche Inhalte sie auf welche Weise vermittelt. Es geht um junge Menschen, die Potentiale in sich tragen, die es zu entwickeln gilt. Manchmal sind Fähigkeiten versteckt und wollen gefunden werden.
Jenseits der Interpretation, mit der sich das Gemälde für mich verbindet, strahlt es für mich Ruhe aus. Und wenn es im Büro einer Schulleiterin turbulent zugeht, tut ein bisschen Ruhe gut.
Die chinesische Kalligraphie ist mehrere Jahre nach meinem Dienstantritt in das Büro gekommen.
Sie ist ein Geschenk, das mir Schülerinnen und Schüler unserer Partnerschule, der Hangzhou Entel Foreign Language School in Hangzouh, bei ihrem Besuch im Jahr 2017 überreichten. Mit Frau Hacks Hilfe konnte der Text der Kalligraphie übersetzt werden:
少年強則國強 bedeutet „Wenn die Jugend stark ist, ist das Land stark.“
Der Übersetzung fügte Frau Hack folgende Erläuterung hinzu: „Es handelt sich um das Zitat eines Ausspruchs von Liang Qichao (1873 – 1929), einem sehr einflussreichen Gelehrten und Reformer der ausgehenden Qing- und frühen Republikzeit. Wie vielen anderen Intellektuellen der Zeit ging es ihm um politische Reformen zur Stärkung des Landes. Fragen der Erziehung und insbesondere der Bildung, die ja auch im traditionellen China immer eine große Rolle gespielt hat, bildeten dabei einen Schwerpunkt der Gedanken.“
Es ist sicherlich kein Zufall, dass diese Kalligraphie zum Gastgeschenk im Rahmen einer Schulpartnerschaft wurde. Jede Gesellschaft, jede Nation tut gut daran, in die Bildung ihrer Jugend zu investieren.
Noch hängen die beiden Bilder ja dort und erinnern gewissermaßen an Sie, wollen Sie die der Schule überlassen oder auf die Dauer für sie zuhause neue Orte suchen?
Da die Kalligraphie ein Gastgeschenk unserer chinesischen Partnerschule für die Schulleiterin war, ist es selbstverständlich, dass dieses Geschenk im Büro der Schulleitung bleibt.
Anders ist es mit dem Gemälde. Als Leihgabe des Künstlers gehörte es mir nicht, sodass ich davon ausging, ich würde es zurückgeben. Als es soweit war, merkte ich jedoch, dass ich mich von dem Gemälde, das mich lange Zeit begleitete, nicht trennen möchte. Inzwischen hat es bei uns zuhause einen Platz gefunden und wird mich an die Zeit am Gymnasium Glinde erinnern.
Nun sind Bilder ja immer an bestimmte Ideen und Vorstellungen geknüpft: Wenn Sie zurückschauen, welches Bild hatten Sie vom Gymnasium Glinde im Kopf, als Sie als Schulleiterin hier begonnen haben? Können Sie sich noch an erste Eindrücke erinnern?
Wenn ich an meine Anfangszeit am Gymnasium Glinde zurückdenke, wurde das Bild, das ich von der Schule hatte, einerseits durch die spezifischen Rahmenbedingungen in Glinde, andererseits durch die schulpolitischen Gegebenheiten bestimmt. Es entstand auch im Vergleich mit dem Gymnasium Trittau, der Schule, an der ich vorher tätig war. Zu meinem damaligen Bild vom Gymnasium Glinde gehörten folgende Puzzle-Teile:
Schule am Stadtrand Hamburgs; vergleichbare Schülerzahl wie in Trittau; Gymnasium, das sich das Schulgebäude mit einer Gemeinschaftsschule teilt; Arbeit an Konzepten zur Gestaltung des Wechsels zu G 8; Schwerpunkt im Bereich der Naturwissenschaften; Kooperation mit der TUHH; Baumaßnahmen, konkret Fassadensanierung.
Am 9. Mai 2009 hatte der Schulleiterwahlausschuss mich zur Schulleiterin gewählt, meine Tätigkeit in Glinde nahm ich am 1. Juli 2009, zweieinhalb Wochen vor dem Beginn der Sommerferien, auf, sodass ich Schülerinnen und Schüler, das Kollegium, die Elternvertretung, Sekretärinnen, Hausmeister und das Gebäude kennenlernen konnte, bevor das Schuljahr zu Ende war.
Deutlich in Erinnerung ist mir, dass im Schuljahr 2008/09 die Fassade des Schulgebäudes saniert worden war, ab Juli waren die Arbeiten im Verwaltungstrakt der Schule vorgesehen, sodass alle Büros geräumt werden mussten. Kaum war ich angekommen, packte ich das Wichtigste aus dem neuen Büro ein, damit die Hausmeister in der Folge den Raum für die Sanierungsarbeiten vorbereiten konnten. Ich hatte also kein Büro mehr zur Verfügung, sondern ließ mich, notdürftig ausgestattet, in einem winzigen Raum in der Schulstraße beim Eingang West nieder.
Im Verlauf der ersten Tage in Glinde besuchte ich alle Klassen. Von diesen Besuchen nahm ich einen wichtigen Eindruck mit, der sich immer wieder bestätigte: am Gymnasium Glinde gehen freundliche, engagierte Schülerinnen und Schüler zur Schule, mit denen sich gut wird arbeiten lassen.
Die Sommerferien nutzte ich damals, um mich mit Konzepten vertraut zu machen und das kommende Schuljahr vorzubereiten. Mit dem Schuljahr 2009/10 begann dann meine „normale“ Arbeit als Schulleiterin. Zuvor hatte ich viele Jahre am Gymnasium Trittau gearbeitet, während der letzten vier Jahre als Mittelstufenleiterin, sodass ich auf umfassende Erfahrungen zurückgreifen konnte. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, wie unterschiedlich Schulen organisiert sein können. So kam es in der Anfangszeit zu für mich verblüffenden Situationen, weil mein Bild und die Wirklichkeit nicht recht zusammenpassten. Glücklicherweise veränderte sich das rasch.
Noch weiter zurückgeblickt: Hatten Sie auch ein bestimmtes Bild vom Lehrerberuf, als Sie diesen gewählt haben, und hat sich dieses Bild im Laufe der Zeit bis heute geändert?
Meine Entscheidung, Lehrerin zu werden, war einerseits durch den Wunsch bestimmt, mit jungen Menschen zu arbeiten, deren Entwicklung zu begleiten und zu fördern, andererseits durch die Freude an meinen beiden Fächern. Diese Einstellung hat mich sowohl während meines Studiums und Referendariats begleitet als auch während meiner Tätigkeit als Lehrerin. Deutsch und Philosophie halte ich für Fächer, in denen wichtige Fachkenntnisse vermittelt werden, die aber auch Raum bieten für individuelle Entwicklungsprozesse. So ist es wichtig, flüssig formulieren und seine Gedanken adäquat ausdrücken zu können oder gut argumentieren zu lernen. Gleichzeitig bietet Literatur die Möglichkeit, in eine andere Figur, in eine andere Welt hineinzuschlüpfen, andere Lebenswelten und Perspektiven kennenzulernen und sich dadurch weiterzuentwickeln.
Mein grundlegendes Bild vom Beruf als Lehrerin hat sich nicht verändert, verändert hat sich z. B. der Fächerkanon, Wirtschaft Politik und Informatik sind etwa als neue Fächer hinzugekommen. Auch die Rahmenbedingungen des Unterrichts sind heute andere. Verdeutlichen lässt sich dies z. B. am Einsatz von Medien.
Als ich 1984 zu unterrichten begann, gab es in der Schule zwar schon Kopierer, die allerdings nur in besonderen Situationen benutzt werden konnten. Texte, die nicht im Schulbuch zugänglich waren, mussten auf einer Schreibmaschine auf sog. Matritzen getippt und auf einem Umdrucker vervielfältigt werden. Computer wurden in der Schule kaum genutzt. Sollte etwas optisch präsentiert werden, geschah dies als Projektion von Dias oder mittels Overhead-Projektoren.
Verändert haben sich auch Didaktik und Methodik des Unterrichts. Eigenverantwortliches Arbeiten und Lernen, Projektarbeit, Problemorientierung, Lernen mit digitalen Medien haben an Bedeutung gewonnen.
Wenn Sie an Ihre eigene Schulzeit zurückdenken, welche Bilder haben Sie vor Augen? Worin sehen Sie die größten Unterschiede zwischen Ihrer damaligen Schule und dem Gymnasium heute ?
Meine Schulzeit verbrachte ich in Saarbrücken, nach der Grundschulzeit besuchte ich ein neusprachliches Gymnasium.
Es sind größtenteils positive Bilder, die mit meiner Schulzeit, besonders meiner Zeit am Gymnasium, verbunden sind: Das Gymnasium, das ich besuchte, war in einem modernen Gebäude untergebracht, von viel Grün umgeben; zur Schule führten Wege mit Heckenrosen, im Sommer lag intensiver Heckenrosenduft in der Luft. Die Schulwege legte ich mit meiner besten Freundin zurück, meist hatten wir viel zu besprechen. In unserer Klasse herrschte eine gute Stimmung: Wir tauschten uns intensiv aus, alle waren integriert, wahrscheinlich galten wir als „pflegeleichte“ Klasse. Wenn wir allerdings etwas als ungerecht empfanden, diskutierten wir und gaben nicht auf, bis Lösungen in Sicht waren. Ich erinnere mich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, an freundliche, engagierte Lehrkräfte, die sich für uns einsetzten. Der Unterricht interessierte mich, ich erinnere mich an teils hitzige Diskussionen im Oberstufenunterricht, an unseren Philosophieunterricht, der für damalige Verhältnisse recht innovativ gestaltet war. Voraussetzung für eine gute Note war – im Sinne Kants – das eigenständige, kritische und vernetzte Denken und die Fragestellungen griffen häufig aktuelle Themen auf, die wir ausgehend von philosophischen Ansätzen durchdachten und diskutierten. Wenn ich heute an meine Schulzeit zurückdenke, steht mir deutlich vor Augen, welch große Bedeutung Bildung hatte: Den meisten von uns öffneten Impulse, die wir während der Schulzeit erhielten, Wege in die weiterführende Ausbildung, in ein Studium. Teils waren es Impulse, die Möglichkeiten zu gelingender Lebensgestaltung aufzeigten. Manch einer wird denken, na klar, es ist die Aufgabe von Schule, Bildung zu vermitteln, weiterführende Impulse zu geben. Als Schülerin habe ich mir das nicht bewusstgemacht.
Natürlich gibt es Unterschiede zwischen meiner damaligen Schule und dem Gymnasium heute:
Über Unterschiede hinsichtlich des Unterrichts habe ich weiter oben schon etwas gesagt. Zu ergänzen ist mein Eindruck vom Englischunterricht, besonders während der Oberstufe. Im Zentrum standen Übersetzungen, schriftliche Interpretationen englischer Literatur. Kommunikation in der Fremdsprache spielte eine untergeordnete Rolle, an Sprechprüfungen war noch nicht zu denken. Entsprechend positiv bewertete ich die Einführung von Sprechprüfungen im Unterricht des heutigen Gymnasiums.
Ich besuchte eine Mädchenschule, erst 1973 wurde in Saarbrücken zu Koedukation umgestellt und die Schulstruktur neu geordnet. Mit Schuljahresbeginn wurden dann auch ebenso viele Jungen wie Mädchen in die 5. Klassen eingeschult, in unsere Oberstufe wechselten fünf (!) Jungen. Für heutige Schülerinnen und Schüler ist vermutlich kaum vorstellbar, dass sie mit ausschließlich gleichgeschlechtlichen Jugendlichen zur Schule gehen. Während meiner Schulzeit wurde das Thema sehr kontrovers diskutiert.
Der Unterricht beschränkte sich während meiner Schulzeit auf den Vormittag, allerdings mussten wir auch samstags zur Schule gehen, dann von der 1. bis zur 4. Stunde. Diesen verkürzten Schultag genossen wir sehr, was wir wohl von der derzeitigen Tagesstruktur gehalten hätten? Schwer zu sagen.
Ihre Unterrichtsfächer sind Deutsch und Philosophie. Werden Sie den Fachunterricht an der Schule vermissen?
Den Unterricht in meinen beiden Fächern werde ich sehr vermissen. Abgesehen von meinem Studium habe ich mich selten so intensiv mit Philosophie, Literatur, Sprache und Schreiben auseinandergesetzt, wie bei der Vorbereitung auf den Unterricht. Mit der Intensität der Auseinandersetzung wuchs jeweils meine Freude, z. B. an einem Roman oder einem Gedicht.
Besonders vermissen werde ich den Austausch mit Schülerinnen und Schülern über die Themen des Deutsch-, und Philosophieunterrichts. Es gibt im Alltag wenig Situationen, in denen Menschen sich so intensiv auf ein philosophisches oder literarisches Thema einlassen wie in der Schule.
Was wünschen Sie sich nun für Ihre Zeit „nach der Schule“ ? Haben Sie sich etwas Bestimmtes für den Ruhestand vorgenommen?
Für die kommende Lebensphase wünsche ich mir, Zeit zu haben für meine Familie, für meine Enkelkinder, für Freunde, für Kultur. Ich möchte mich um meinen Garten kümmern und mich den Dingen widmen, die ich während meiner Berufstätigkeit, insbesondere während der Zeit als Schulleiterin, zurückgestellt habe.
Im Moment verfolge ich also kein großes Projekt, sondern genieße es, weitgehend frei über meine Zeit zu verfügen.
Was schätzen Sie besonders an unserer Schule und welche spontane Vision haben Sie von der Zukunft des Gymnasiums Glinde?
Am Gymnasium Glinde schätze ich besonders die Atmosphäre von Offenheit, Hilfsbereitschaft und gegenseitigem Respekt, das hohe Anspruchs- und Leistungsniveau, auf dem unterrichtet und gelernt wird.
Meine Vision: das digitale Lernen wird weiter im Fachunterricht verankert und ausgebaut; die Sanierung der naturwissenschaftlichen Räume ist abgeschlossen, die neuen Räumlichkeiten werden intensiv genutzt für naturwissenschaftliches Lernen und Forschen; die Teilnahme an Wettbewerben wird weiter intensiviert; die Orchesterklassen können wieder ungestört arbeiten und sich entwickeln, die Musik-Ensembles können wieder ungehindert proben und Konzerte geben.
Liegt Ihnen noch etwas am Herzen, was Sie uns Schülerinnen und Schülern im zweiten Schulhalbjahr mit auf den Weg geben möchten?
Liebe Schülerinnen und Schüler,
ich habe euch meist als konstruktiv erlebt, als interessiert an den unterrichtlichen wie außerunterrichtlichen Angeboten, als höflich und freundlich im Umgang und ich wünsche euch, dass ihr euch diese Haltung bewahrt.
Ich wünsche euch Freude am Lernen und Rückhalt in euren Klassen- und Kursgemeinschaften.
Vor allem wünsche ich euch, dass ihr eure Entwicklung in die Hand nehmt.
Herzlichen Dank für die Beantwortung unserer Fragen und alles Gute für die Zukunft!
Homepage Redaktion im Mai 2022