Von Afro-Cuban Jazz bis Pop – Interview mit Leandro Saint-Hill

Seit 2015 erteilt der Saxophonist und Flötist Leandro Saint-Hill in Zusammenarbeit mit der Musikschule Glinde Saxophon-Unterricht für die Kinder aus unserer Orchesterklasse der Jahrgangsstufen 5 und 6. Ich habe mich mit dem Musiker für unsere Schulhomepage unterhalten und ihn unter anderem zu seinen Beweggründen gefragt, an unserer Schule Saxophon-Unterricht anzubieten und wie sein neues Album Cadencias entstanden ist.
Foto: Tim Ohnsorge.

Hi Leandro, schön dass du dir Zeit genommen hast. Ich würde dir gerne einige Fragen über deine Musikerkarriere sowie zu deiner Person stellen. Wie bis du eigentlich zum Saxophonspielen gekommen?

Ja, das ergab sich quasi automatisch. Mein Papa ist ein Geigenspieler und damals leitete er ein eigenes Orchester. Von daher hab ich zuhause immer Musik gehört, von kubanisch bis klassisch, Jazz eher weniger.

Dann ist ja interessant, wie du den Jazz für dich entdeckt hast!

Ja, zum Jazz kam ich viel später. Als ich sieben Jahre alt war, hat mein Vater in Kuba uns, mir und meinen Geschwistern, erst Geigenunterricht gegeben. Aber keiner von uns hat damit weitergemacht. Mit 10 Jahren bin ich in eine Musikschule eingeschult worden und da hatte ich natürlich schon mit dem Saxophon angefangen. Das war aber rein klassisch. Da blieb ich für sieben Jahre für eine sogenannte musikalische Ausbildung, am Ende hatte ich mein Abi und ein Diplom als Saxophon-Lehrer. Und da, während der Schulzeit, habe ich schon Jazz spielen autodidaktisch gelernt. Mit 15-16 war ich schon drin im Jazz – ich habe in dem Alter mit ein paar Kollegen immer häufiger Jamsessions in den Räumlichkeiten der Musikschule durchgeführt – aber immer parallel zur klassischen Ausbildung. Das Konzept der Schule war nämlich dagegen, weswegen wir auch ein wenig bestraft wurden!

Ich muss sagen, dass das wirklich sehr beeindruckend ist, Jazz sich selber beizubringen. Ich spiele selbst Gitarre und versuche auch, Jazz zu lernen. Du hast ja wirklich eine beeindruckende Musikkarriere, hattest ja auch Auftritte mit Omar Sosa oder mit Helene Fischer. Wie sind die so persönlich?

Ja diese Leute sind tatsächlich menschlich. Sind ja auch Menschen wie du und ich. Es gibt gewisse Vorurteile, dass solche Berühmtheiten arrogant wären und komisch drauf sind. Aber im Gegenteil, sie sind hoch professionell, konzentriert und im Umgang ganz normal und höflich. Ich hatte ja das Glück, in unterschiedlichen Genres zu arbeiten. Vom Schlager bis Pop, Soul, Funk,  Afrobeat, … Musicals bis Reggae. In allen Genres habe ich zu 97% nur gute Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern gemacht.

Eine weitere Frage: Du unterrichtest ja zurzeit an unserer Schule und gibst hier in Kooperation mit der Musikschule Glinde Saxophon-Unterricht für die Schüler*innen der Orchesterklasse. Wie läuft das ab?

Die meisten der Schüler*innen sind begabt, es gibt aber auch einige, die nicht so begabt sind. Es ist sehr gemischt. Mein Ziel ist es, alle gleich gut zu fördern.

Wie gehst Du dabei vor?

Manche Kinder sind nicht so begabt, aber sie strengen sich an, dann gibt es die, denen die Motivation fehlt, weil ihr kulturelles Umfeld sie nicht unterstützt, oder bei ihren Hobbys wurden andere Prioritäten gesetzt, etwa mehr auf Sport als auf Musik, was ja auch ok ist, aber unterschiedliche Voraussetzungen schafft. Ich habe also die unterschiedlichsten Niveaus von Schüler*innen und versuche, jeden individuell zu fördern. Dafür passe ich mein pädagogisches Konzept den Voraussetzungen an, dabei berücksichtige ich auch das familiäre Umfeld bzw. den kulturellen Hintergrund der Kinder. Ich beobachte genau: Wo sind die Defizite? Im Bereich der Motorik, beim Rhythmusgefühl, mangelt es an Konzentrationsfähigkeit, hat jemand nicht das Gehör? Das finde ich heraus und arbeite daran, da bin ich auch ehrgeizig. Die Arbeit als Lehrer ist mir genauso wichtig wie meine professionelle Karriere, und daran habe ich auch Spaß. Leute fragen mich, warum ich, der mit  Top Leuten spielt, an einer normalen Schule unterrichte. Ich antworte dann immer, dass es einfach Spaß macht und mich auch fördert, ich lerne dabei selbst viel dazu.

Welche Aspekte sind dir dabei besonders wichtig?

Mir sind ein paar Punkte sehr wichtig, die ich im Unterricht vermitteln möchte. Zum einen die Technik, also das Gehör, um musikalisch direkt auf andere zu reagieren und mitspielen zu können. Dann noch das freie Spiel, die Fähigkeit zur Improvisation. Außerdem möchte ich das Gefühl für verschiedene Genres vermitteln: Pop, Funk, Welt-Musik, also in meinem Fall viel kubanische oder karibische Musik sowie Blues und Jazz. Die Schüler*innen sollen verstehen, in anderen Ländern gibt es andere Töne und Taktarten, eine insgesamt andere Klangwelt. Ich kann zum Beispiel anhand eines bekannten Pop-Stückes veranschaulichen, wie die Blues-Tonleiter aus der pentatonischen Moll-Tonleiter entstanden ist, also ich kann ihnen anhand von bestimmten Musikgenres den Aufbau und die Unterschiede zwischen Dur-, Moll- und Blues-Tonleitern vermitteln. Wir vergleichen den Aufbau von Tonleitern und hören auch gleich, wie das klingt und welcher Musikrichtung das zuzuordnen ist.

Du hast ja ein neues Album herausgebracht, “Cadencias”. Wie kam es dazu? Was war deine Motivation?

Mit Cadencias kehre ich zurück zu meinen musikalischen Wurzeln, dem Afro-Cuban Jazz. Der Titel soll eine Anspielung sein, denn tatsächlich geht es um musikalische Kadenzen, also eine Vielfalt an Tönen und Tonarten. Cadencias steht im Spanischen aber für noch viel mehr im übertragenen Sinne: Es bedeutet Bewegung, Wohlklang, Tonfall – es hat auch etwas mit Poesie zu tun.

Da ich so viel Einflüsse von anderen Künstlern habe, dachte ich: Es gibt immer ein paar Elemente, die bei den anderen nicht dabei sind. Also hatte ich das Bedürfnis, was Eigenes zu machen. So kam ich dann erst zu meiner Band Colectivo, mit der ich eine Vielfalt an Musikrichtungen gespielt habe – und habe jetzt mit dem Leandro Saint-Hill Quartet mein neues Afro-Cuban Jazz Album produziert.

Leandro hat Spaß am Unterrichten.

Die meisten Künstler haben so ein gewisses Ego. Man hat gewisse Wünsche und Ansprüche an sich selbst. Vor allem im Jazz ist es eine Welt voller Ansprüche, zwischen Metatheorik und Freiheit. Ich hab so viele Einflüsse von verschiedenen Künstlern und Genres, aber mit Cadencias kehre ich zum Afro-Cuban Jazz zurück.

Deine erste Platte war also noch eine ganz andere Mischung ?

Ja, mit dem Saint-Hill Colectivo war es noch anders, das war eine Mischung aus Reggae, Funk und Afro-Cuban. Warte, vielleicht hab ich das Album hier, dann kannst du es hören. Ah, hier haben wir Son My Soul das ist eine Symbiose aus Funk/Soul und karibischer Musik mit viel Jazz und Blues. Ich habe auch alles selbst komponiert.

Danke, dass du alle Fragen so ausführlich beantwortet hast. Danke auch für deine Geduld.

Ja sehr gerne, bis dann.

 

Die Fragen stellte: Dara Lange

 

Mehr über Leandro:

www.leandrosainthill.de

Das neue Album „Cadencias“ vom Leandro Saint-Hill Quartet ist auf dem Hamburger German Wahnsinn Records-Label erschienen. Der Titel  bedeutet auf Deutsch “musikalische Kadenz”, steht aber im Spanischen für weitere Bedeutungen, wie  „Wohlklang“, “Bewegungsarten” und für Poesie.

Der aus Kuba stammende Musiker Saint-Hill kam in den Neunzigerjahren nach Hamburg und lebt heute in Havighorst. Im Jahr 2008 erhielt Leandro Saint-Hill eine Grammy Nominierung für das Best Instrumental Album und das Best Contemporary World Music Album zusammen mit Omar Sosa. Mit seiner Band Saint-Hill Colectivo erreichte er 2011 eine Platzierung auf der Shortlist der Latin Grammies in den Kategorien Best Engineered Album, Best New Artist und Album of he Year.