Wie klappt es eigentlich mit dem digitalen Fernunterricht? Ein Lehrerinterview

Die Corona-Pandemie hat nicht nur unser Privatleben verändert, sondern auch das Schulleben. Seit dem 16. März 2020 wurden die Schulen geschlossen, nun heißt es Homeschooling, oder Fernunterricht mit digitalen Mitteln! Die Schülerinnen und Schüler werden im digitalen Klassenzimmer unterrichtet und lernen so auch eigenständig zuhause weiter.

An unserer Schule findet Unterricht – neben der virtuellen Plattform SchulCommSy – online über BigBlueButton statt. Dieses Webkonferenzsystem ermöglicht uns die gemeinsame Nutzung von Audio, Video, Folien, Whiteboard, Chats und Bildschirm in unserer jetzigen Situation. In einem Interview erzählten uns unsere Lehrkräfte Herr Ratzek (Deutsch & Philosophie) und Frau Staeck (Deutsch & Englisch), welche Erfahrungen sie bereits mit dem Online-Unterricht machen konnten.

Online unterrichten kann Vorteile haben.

1. Wie kommen Sie mit dem Online-Unterricht klar?   
Rz: „Ich denke, dass ich mich in das Programm für das Online-Unterrichten einigermaßen eingearbeitet habe. Ist die Klasse diszipliniert, kommt auch so etwas wie Diskussion zustande. Wichtig wäre eine ehrliche Rückmeldung durch Teilnehmer.“

Sk: „Mittlerweile komme ich ganz gut klar, aber die Einarbeitung in SchulCommSy war nicht so ganz einfach. Vor BigBlueButton-Konferenzen bin ich ehrlich gesagt immer noch ein bisschen aufgeregt, weil ich nie weiß, ob alle da sind und ob bei allen die Technik funktioniert – und ob ich im richtigen Moment die richtige Funktion finde!“

2. Gibt es Vorteile am digitalen Lernen?
Rz: „Vorteile gibt es schon! Insgesamt fasst man sich kürzer und prägnanter als im Unterricht! Bis jetzt haben meine Sitzungen nicht länger als 30 Minuten gedauert.“

Sk: „Wenn Schüler*innen Texte hochladen, kann ich viel gezielter und genauer Rückmeldung geben. Das geht im „normalen“ Unterricht nicht so ausführlich. Und es ist auch witzig, Teilnehmer in einer Online-Konferenz „stumm“ schalten zu können. : ). “

3. Entstehen viele Nachteile durch das Homeschooling?
Rz: „Homeschooling ist der falsche Ausdruck. Ich sage lieber Fernunterricht! Sicherlich hat das Nachteile, denn nicht alle Eltern sind so ausgestattet, dass man problemlos die Aufgaben jeweils ins Haus bekommt. Ich denke, dass soziale und kognitive Unterschiede, die es schon immer gibt und gab, durch diese Situation nur noch verstärkt werden. Hier muss das Schulsystem Wege erschließen, damit eine kleine Anzahl von Schülern nicht benachteiligt wird.“

Sk: „Zu Hause lernen kommt nicht jedem entgegen. Die Voraussetzungen sind da zu unterschiedlich. Das fängt bei der Technik an: Gibt es einen PC zu Hause? Kann der für das Homeschooling genutzt werden? Gibt es einen Drucker? Weiter geht es mit der Organisation zu Hause: Haben die Kinder Ruhe zum Lernen? Kann jemand helfen, wenn es Probleme gibt? Und man darf auch nicht vergessen, dass so viel Selbstverantwortung eine Belastung sein kann. Wie teile ich mir meinen Tag ein, wenn ich nicht um 7:50 Uhr in der Schule sein muss? Schaffe ich es, zu einer bestimmten Zeit aufzustehen, wenn es keine festen Termine gibt? Daran scheitern ja schon Erwachsene! Das alles lässt sich meiner Meinung nach zusammenfassen: Kinder, die zu Hause schon immer Unterstützung erfahren haben, werden das besser hinkriegen als Kinder, die in schwierigeren Verhältnissen aufwachsen.“

Die Klassenzimmer stehen seit Wochen weitgehend leer – gelernt wird zu Hause.

4. Was sind Ihre ersten Erfahrungen mit BigBlueButton Video-Konferenzen?
Rz: „Meine Erfahrungen sind gut! Ein praktikables Programm! Am besten finde ich, dass ich in der 5ten Klasse am Ende Peter Lustig spielen kann: „ausschalten!““

Sk: „Ich habe fast alle meine Klassen schon in einer Konferenz gehabt (eine dicke Entschuldigung an die 8b und die 9b – ich habe euch nicht vergessen) und muss sagen, dass ich mich gefreut habe, von allen zu hören. Es gibt zwar immer mal wieder technische Probleme, aber insgesamt läuft es ganz gut. Ein bisschen traurig bin ich, dass ich meine Schüler*innen nicht sehen kann, weil die Kameras ja ausbleiben müssen. Das hat auch noch eine andere Konsequenz: Wenn Schüler*innen im Online-Unterricht nicht mitarbeiten, weiß ich gar nicht, ob sie wirklich vor dem Rechner sitzen oder sich vielleicht wieder ins Bett gelegt haben :). Das ist ein ganz komisches Gefühl.“

5. Ist die Online-Unterrichtsplanung anspruchsvoller als die Planung des Präsenzunterrichts in der Schule?
Rz: „Wenn man seinen Unterricht sonst nicht anspruchsvoll gestaltet …. Nein im Ernst. Man wird gezwungen, noch prägnanter und verkürzter zu formulieren. Man wählt Inhalte aus, die man im Unterricht eigentlich von den Schülern erarbeiten lässt. In Philosophie gebe ich mir immer mögliche Antworten auf die Erschließungsfrage mit. In diesem Sinne kann der Unterricht von den Inhalten her wirklich in einem wissenschaftlichen Sinne anspruchsvoller sein.“

Sk: „Das kommt – wie auch bei „Live-Unterricht“ – darauf an, was man machen will. Grammatik wiederholen lässt sich im Online-Unterricht recht schnell vorbereiten. Wenn man aber z.B. in der Oberstufe mit Texten arbeiten will, wird das schon schwieriger. Neue Inhalte einzuführen ist dann sozusagen die Königsdisziplin, weil man ja nicht gemeinsam im Gespräch „auf Entdeckungsreise“ gehen kann, um sich dem Neuen zu nähern. Da muss man sehr genau überlegen, welche Methoden am besten geeignet sind. Viele Kolleg*innen bilden sich deshalb auch gerade fleißig weiter.“

6. Hat sich Ihr Alltag während des Homeschoolings verändert?
Rz: „Mit Sicherheit ja! Man muss sich schön selbst disziplinieren, um nicht den ganzen Tag vor dem Bildschirm zu sitzen.“

Sk: „Auf jeden Fall! Ich habe zwei Kinder, die jetzt auch zu Hause lernen. Das heißt, dass ich oft vormittags nur wenig Zeit habe, meiner eigentlichen Arbeit nachzugehen, weil ich dafür sorgen muss, dass die Aufgaben der Kinder erledigt werden (und dass wichtige Ding wie Socken, Bleistifte und Schokolade in ausreichender Menge zur Verfügung stehen – „Mama, wo ist mein [hier beliebigen Gegenstand einsetzen]?“). Als Konsequenz rutscht meine eigene Arbeitszeit noch weiter in den Abend als sonst schon. Und dadurch ist irgendwie auch der ganze Tagesablauf nach hinten verrutscht.“

Schule als Lebensraum – es fehlt der direkte Kontakt.

7. Was vermissen Sie, bzw. fehlt Ihnen etwas während des Homeschoolings?
Rz: „Der Austausch mit den Schülern: a) im Hinblick auf die Inhalte des Unterrichts und b) den persönlichen Kontakt, den es ja auch gibt!“

Sk: „Mir fehlt der Austausch mit Kolleg*innen und natürlich fehlen mir meine Schüler*innen. Insgesamt fehlt es mir, zur Arbeit gehen zu können.“

8. Seit dem Homeschooling sind nicht nur die Lehrkräfte, sondern auch die Schülerinnen und Schüler auf die Technik angewiesen. Hätte sich die Schule auf die Technik bzw. den Fernunterricht besser vorbereiten sollen?
Rz: „Dazu sage ich nur ein Wort: „Zwangsdigitalisierung“! Wenn die Situation nicht so wäre, wie sie jetzt ist, wären die Errungenschaften des Digitalen wahrscheinlich erst nach meiner Pensionierung eingeführt worden! Im Ernst – wenn sich die Situation stabilisiert hat, sollte man die Programme, mit denen man jetzt arbeitet, überprüfen, ob es nicht für alle etwas leichter Handhabbares gibt!“

Sk: „Unsere Schule ist technisch eigentlich ganz gut ausgestattet. Wir haben im gesamten Gebäude funktionierendes W-Lan und sind in den meisten Räumen so mit Präsentationstechnik ausgestattet, dass man effektiv arbeiten kann. Das können nicht alle Schulen von sich behaupten. Wir feilen auch ständig an unserem Medienkonzept und haben dabei Hilfe von Fachleuten. Niemand konnte wirklich vorhersehen, was uns jetzt passiert ist und vor allem, mit welchem Tempo es sich entwickeln würde. Meiner Meinung nach haben wir schnell und passend reagiert: SchulCommSy Unterricht stand vom ersten Tag an zur Verfügung und in den Ferien wurde in sehr kurzer Zeit BigBlueButton getestet und ein eigener Server eingerichtet. Daran haben viele Menschen sehr engagiert gearbeitet. Rückblickend könnte man höchstens sagen, dass SchulCommSy Unterricht schon früher für klasseninterne Kommunikation hätte genutzt werden können.“

9. Sollte die Schule sich, was die Technik angeht, weiterentwickeln? Was würden Sie sich wünschen?
Rz: „BBB ist schon gut! Das kann man sicherlich weiterentwickeln. Auch SchulCommSy ist als Aufgabenarchiv geeignet! Aber ob alle mit Tablets in der Schule… Weiß nicht so recht. Ein digitales Buch wäre eine weitere Möglichkeit!“

Sk: „Schule muss sich immer technisch weiterentwickeln. Damit meine ich nicht, dass man jeden Schnickschnack mitmachen muss, sondern dass die Frage im Vordergrund steht, wie man Technik für den Unterricht gewinnbringend einsetzen kann. Ich wünsche mir, dass alle Räume mit Präsentationstechnik ausgestattet werden (das haben wir bald geschafft). Außerdem wünsche ich mir, dass Kolleg*innen ihr Wissen und Können untereinander teilen. Am wichtigsten ist in meinen Augen aber, dass die Schule Unterstützung hat, was die Wartung der Geräte und des Netzwerkes angeht. Das ist mittlerweile alles so komplex geworden, dass es nicht mehr von Lehrern geleistet werden kann. Erfreulicherweise hat die Stadt für diese Aufgabe eine Stelle geschaffen, so dass diese Last Stück für Stück abgegeben werden kann.“

Auf Abstand – die Abiturprüfungen wurden dieses Jahr in der Turnhalle geschrieben.

10. Gab es Schwierigkeiten, die Abiturient*innen auf ihre Abiturprüfungen vorzubereiten?
Rz: „Nein! Ich bin mit meinem Wiederholungsprogramm genau zur Schließung fertig geworden. Die Abiturienten konnten sich stressfrei auf die Prüfungen vorbereiten!“

Sk: „Dazu kann ich nur wenig sagen, weil ich selbst keine Klasse auf das Abitur vorbereiten musste. Ich weiß aber, dass sich Kolleg*innen Sorgen darum machen, wie man die Schüler*innen bei der Vorbereitung auf die noch anstehenden Sprechprüfungen unterstützen kann. Mit Sicherheit wird es dafür aber Lösungen geben.“

Vielen Dank, Herr Ratzek und Frau Staeck, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben und über Ihre Erfahrung, die Sie mit dem Online-Unterricht machen konnten, erzählt haben.   Karina Wagner